Es ist erstaunlich, wie komplett anders das Leben plötzlich sein kann. Heute Morgen bin ich noch mit meiner Familie am Frühstückstisch gesessen und jetzt habe ich mein Leben hier im Wald am Rütibach eingerichtet. Mitten aus dem Stadtleben in die Zurückgezogenheit des Waldes.
Der Abschied von Maria und Rea hat mich sehr viel Kraft gekostet und ich verspüre noch immer tiefe Trauer darüber, dass ich meinen Alltag nun nicht einfach so mit ihnen teilen kann. Aufbrechen heisst auch loslassen. Ein bisschen erahne ich, wie es Gallus ergangen sein mag, als er seine Familie zurückliess, um ans europäische Festland überzusiedeln.

Von Zuhause aus bin ich zu Fuss zum Gallusplatz aufgebrochen. Habe die halbe Stadt durchquert – wann bin ich je zu Fuss zum Gallusplatz gelaufen? Die Hälfte meines Materials habe ich auf dem Rücken – die andere Hälfte haben Maria und ich gestern Abend schon an den Waldplatz gebracht. Ich bin froh, hat sie den Platz gestern schon in Augenschein genommen. Sie hat mich mit ihrer Fachkenntnis beim Gallus Experiment schon so oft beraten und unterstützt. Ihr gefällt der Platz und ihrem Ermessen nach ist es auch ein geschützter Ort. Als ich dann heute Nacht dreimal vom Donner geweckt wurde, wurde es mir schon etwas wenig mulmig zumute. Wie wird es wohl sein, wenn ich am Waldplatz so ein Gewitter erlebe?!

Der Aufbruch machte mir auch die berührende Feier unter der Linde vor dem Eingang zur Stiftsbibliothek bewusst. Es hat mir unglaublich gut getan zu erleben, ausgesandt zu werden. Meine TeamkollegInnen und die Anwesenden haben mich gesegnet für die kommenden 20 Tage. Ich weiss, ich bin hier draussen nicht alleine! Ich weiss, ich mache diese Erfahrung nicht zu meinem Privatvergnügen. Ich weiss, dass ich diese Erfahrungen für andere machen darf. Und ich bin sehr dankbar!

Inzwischen ist der Waldplatz eingerichtet. Auch die Hängematte ist schon an ihrem Platz. Das ist ein gutes Gefühl! Für die Meditationen werde ich wahrscheinlich unterschiedliche Orte aufsuchen. Heute sass ich direkt am Rütibach auf einer kleinen Kiesbank.
Und gute Begegnungen hat mir der erste Tag geschenkt – mit Alessia unserer Videografin, mit Maria von Radio SRF und mit einer Wanderin, die jamanden zum Zuhören suchte. Ein erfüllter Tag.
Eine Spannung verspüre ich allerdings, die in der Herausforderung liegt, zurückgezogen zu leben und gleichzeitig eine Öffentlichkeit zu schaffen mit Blog und Medien. Ich brauche diese Öffentlichkeit nicht. Doch wenn dieses Experiment auch eine gewisse Bewusstseinsarbeit für Spiritualität, Naturverbundenheit und Einfachheit sein soll, dann braucht es diese…
Ein Tag des Aufbruchs geht zu Ende. Ich bin müde vom Laufen und freue mich auf die Hängematte. Wie viele Menschen heute wohl aufgebrochen sind? Sich auf den Weg gemacht haben?

Radiobeitrag von SRF Regionaljournal Ostschweiz mit weiteren Fotos.
Titelbild und Fotos in der Galerie von Ueli Steingruber.