Ein voller und erfüllender Tag neigt sich dem Ende zu. Ich bin unglaublich dankbar, dass der heutige Tag trocken blieb. Die „Nachwehen“ von gestern haben mich aber auch heute begleitet. Das Feuerholz ist nass und braucht sehr lange zum trocknen. Eigentlich wollte ich mich ja beim Gallus Experiment bewusst nicht auf die Survival-Ebene konzentrieren, sondern das Spirituelle in den Blick nehmen. Wie ich gestern und heute gelernt habe, gibt es das eine ohne das andere hier draussen im Wald nicht. Und ich glaube, dass Gallus seine tiefe Spiritualität gerade durch die Grenzerfahrungen, die er in und mit der Natur gemacht hat, gewonnen hat.
Vorgestern Mittwochabends bin ich aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen: ein prächtiges Abendrot hat die sonnenbeschienenen Tannen in Purpurrot getaucht. Auf meiner abendlichen Runde mit unserer Hündin Eni durfte ich dieses Natur-Schauspiel entdecken und musste verweilen und geniessen. Einfach irgendwo im Wald (oder wo auch immer) absitzen zu können, um zu staunen, ist ein grossartiges Geschenk. Wo in meinem Alltag nehme ich mir die Zeit dazu? Eine wärmende Dankbarkeit machte sich in mir breit und liess mich ruhig einschlafen.
Das Staunen setzte sich auch am heutigen Tag fort. Ich hatt sehr viel Besuch und tiefe Gespräche. Meine KollegInnen vom Cityteam kamen mich besuchen, um unsere Sitzung am Waldplatz abzuhalten. So berührend war für mich, dass sie mir trockenes Feuerholz mitbrachten und das ohne, dass ich sie darum gebeten habe. Wie wunderbar, dass es mein Team gibt, das das Gallus Experiment so achtsam mitträgt. Auch der Outdoor-Profi und Survival-Trainer Andreas kam auf Besuch mit einem ganzen Rucksack randvoll hilfreicher Gegenstände, die das Leben im Wald erleichtern. Ich staune auch hier: Menschen, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen einfach so mit mir teilen, obwohl sie mich nicht kennen. Auch das mag Gallus wohl so erlebt haben.
Den ganzen Tag über war ich heute fast nie alleine. Jetzt sind alle wieder aufgebrochen – auch Eni. Maria hat sie heute mit auf eine Fahrt zu ihren Eltern mitgenommen. Jetzt bin ich wirklich alleine. Zwar ist Eni ängstlicher als ich. Die grosse Bewacherin spielt sie nur. Doch ganz allein hier draussen zu sein, wird heute Nacht eine neue Erfahrung werden.
Titelfoto: Benjamin Ackermann