Jetzt am späten Nachmittag sind es die ersten Momente, in denen ich heute alleine bin. Spannende, tiefe Gespräche über Wahrheit und den Sinn des Lebens wurden mir geschenkt. Es ist so überraschend, was die Begegnung mit und an einem abgelegenen Ort und das Vorhandensein von Zeit alles öffnen: Gedanken, Gefühle, Überzeugungen – Räume für Glauben.

Mich konfrontiert das Leben hier am Rütibach ganz stark mit dem Thema „Entschleunigung“. Gestern Morgen bin ich aufgewacht und war sofort ganz in den Überlegungen drin, was am alles zu tun sei. Eigentlich wie daheim?! Wie paradox! Das Waschen am eiskalten Brunnen hat mich dann aber sofort aus der Maschinerie des Tuns und Funktionierens herausgeholt in die Realität meines Seins hier im Wald gebracht. Heute ist es mir gelungen, den Tag anders zu beginnen. Das Leben hier im Wald macht mir vieles bewusst, was im Alltags-Setting überlagert wird von Pflichten, Aufgaben, Terminen etc. Das Leben hier im Wald zwingt mich dazu, mir Zeit zu nehmen:
– um meine Kaffeekanne mit Wasser zu füllen. Wie langsam das Wasser aus der Quelle am Waldplatz fliesst…
– oder um Feuer zu machen, wenn alles Holz völlig durchnässt ist. Benjamin, der gestern zum zMittag vorbeikam, musste recht lange warten, bis nur das Feuer, auf dem wir unsere Zuchetti und Zwiebeln gebraten haben, ordentlich gebrannt hat.

Ich glaube auch, dass die Einfachheit dieses Lebens entschleunigt. Einfachheit schenkt Zeit. Einfachheit erfordert Zeit. Vielleicht ist gerade auch deshalb der hl. Gallus in die Einfachheit des Waldes an der Steinach aufgebrochen, weil er dort die Möglichkeit zur Suche nach Gott erahnte? Vielleicht macht es einem die Einfachheit auch leichter, Göttliches zu entdecken?

Hier in der Natur lenkt mich wenig ab. Auch wenn ich mich immer wieder dabei ertappe, dass ich einfach nur schaue, nehme ich das nicht als Ablenkung wahr. Ich kann mich auf das konzentrieren, was jetzt ansteht. Beispielsweise muss ich baldmöglichst noch die Plache über der Tischgruppe verändern, damit diese beim nächsten Regenguss nicht mehr allzu nass wird. Auch die „Lage“ meiner Hängematte muss ich verändern, da gleich beim Ausstieg die Böschung in den Rütibach-Tobel beginnt. Und eine zweite Plache braucht es auch noch über der Hängematte – für den Fall der Fälle. Aber diese Aufgabe haben etwas mit meinem jetztigen Leben, mit mir zu tun. Sie machen aktuell Sinn.

Eine aktuelle Sinnhaftigkeit meines Tuns verspüre ich in meinem Alltag nicht immer. Doch ist es so wichtig, dass das was man macht Sinn macht. Heute und im Vorfeld des Gallus Experiments durfte ich erleben, dass das Experiment Menschen motiviert, nach ihrem Sinn im Leben zu fragen – ganz bewusst eben auch hier am Waldplatz. Das berührt mich zu tiefst. Ich erlebe, dass ich mit anderen am Suchen und Fragen bin. Schon allein das macht doch irgendwie Sinn!!

Ach, eine Neuigkeit: Seit heute habe ich einen Bären! Eine liebenswürdige Besucherin hat mir einen selbst genähten Bären vorbeigebracht und geschenkt. Jetzt muss ich ihn nur noch davon überzeugen, dass er mir trockenes Holz bringt! 🙂

Fotos von Ueli Steingruber.