Heute habe ich etwas länger geschlafen und bin den Tag sehr langsam angegangen. Schon um halb fünf Uhr morgens begrüssen die ersten Vögel den nahenden Tag mit ihrem Gesang. Eni, unsere Hündin, ist wieder da.  Nach drei Tagen in einer trockenen und behüteten Wohnung muss auch sie sich erst einmal wieder an das Sein im Wald gewöhnen. Wachsam nimmt ihre hervorragende Nase die vielfältigen Gerüchte des Waldlebens wahr. Es ist spannend, sie beim Riechen zu beobachten. Ihre beweglichen Nasenflügel führen ein ständiges Tänzlein auf. Auch ihr Gehör springt auf die verschiedensten Geräusche auf wie eine Surferin auf eine passende Welle. Und alles muss sie mir melden. Doch irgendwann in der Nacht werden auch ihre Sinne müde. Die Rehe, die auf ihrem Wildwechsel gleich unterhalb unseres Schlafplatzes in der Nacht hin- und herspringen, rufen auch bei ihr keine grossen Reaktionen mehr hervor.

Eni ist heute Morgen wieder ganz da. Das macht mir bewusst, dass auch ich – glaube ich – endlich hier angekommen bin. Der Waldplatz ist jetzt mein Lebensraum. Ich bewege mich hier geborgen wie in einer Wohnung. Alles, was an Auf- und Umbau, an Verbesserungs- und Optimierungsarbeiten für mein Camp zu tun war, alles Aufregende, was an Eingewöhnung, Einleben und Sich-Vertrautmachen zu erlernen und umzusetzen war, alles, was für diverse Begegnungen und für den Gottesdienst vorzubereiten war, ist getan. Ich kann einfach da sein. Das, was ich hier suche.

Ein wenig hatte sich dieses Gefühl gestern schon eingestellt, nachdem nach unserem gemeinsamen Gottesdienst und dem Bräteln und Singen am Waldplatz gegen vier Uhr plötzlich alle BesucherInnen weg waren. Plötzlich gab es für mich einfach nichts mehr zu tun. Plötzlich schlich sich ohne Vorankündigung ein Gefühl von Langeweile an.

Vielleicht hat dieses Gefühl auch etwas dazu beigetragen, dass ich mir gestern so viele Gedanken über die Gemeinschaft als Grundlage eines Glaubenslebens gemacht habe. Genau weiss ich ja nicht mehr, was ich geschrieben habe – ich kann es ja nicht mehr nachlesen, da die «Brieftaube» den Blog dankenswerterweise an seinen Bestimmungsort «geflogen» hat. War vielleicht ein bisschen wirr und zu theologisierend. Sorry! Aber eben und aus dem Moment hier am Waldplatz geboren. Jedenfalls habe ich das Gefühlchen von Langeweile genutzt und bin das Bachbett des Rütibachs hinausgewandert. Schon unmittelbar nach seiner ersten Biegung habe ich mich in einem Urwald gewähnt. Bäume liegen kreuz und quer, modern langsam vor sich hin. Die Natur und ihr Kreislauf von Werden und Vergehen legt dort Hand und Spiritualität an. Vorsichtig und zaghaft wandere ich das Bachbett hinauf – Schritt für Schritt in aller Langsamkeit, die ich hier im Wald gelernt habe – wiedererlernt, neu entdeckt. Ist ja schon lustig. Eigentlich weiss ich ja um die Kraft der Langsamkeit… Welche Macht der Alltag doch über einen ausübt.

Und immer wieder habe ich still inmitten der urtümlichen Welt Platz genommen und beobachtet. Wahrnehmen. Einfach Dasitzen und die Welt auf sich wirken lassen. Was für ein Geschenk!

Wenn ich vom Leben des Heiligen Gallus lese, dann hoffe ich, dass er bei all seinen weltlichen Aktivitäten auch diesen Punkt der «Langeweile» – ich gebrauche dieses Wort völlig wertfrei – für sich entdeckt hat. Ich glaube aber, dass er das haben musste, denn ich kann es mir aufgrund meiner eigenen Erfahrung nicht anders vorstellen: Die Langeweile zeigt mir an, dass ich angekommen bin!

Das Bachbett der Rütibachs