Heute hat mich Alessia, unsere Filmerin, gefragt, ob ich hier draussen im Wald schon Gott begegnet wäre. Diese Frage hat mich ins Grübeln gebracht… Gott begegnen… Muss ich hier draussen sein, um Gott zu begegnen? Begegnet mir in meinem «gewöhnlichen» Alltag nichts Göttliches?

Vielleicht bin ich ja hier, damit es mir einfacher fällt, Gott zu begegnen. Ja, hier draussen in der Natur ahne ich Gottes Gegenwart. Hier draussen – so meine ich jedenfalls – ist es einfacher, Gottes Wirken zu spüren. Vielleicht tut es uns deshalb auch so gut, Zeit in der Natur zu verbringen?! Und tatsächlich, wenn ich mir Zeit nehme, mich hier im Wald auf den Boden oder auf einen Stein am Bach setze, warte und beobachte, ausharre und genau hinschaue, dann erahne ich in allem Gottes Spuren. Könnte das der Grund sein, warum Columban und die zwölf Begleiter, zu denen auch Gallus gehörte, auf den Spuren der Wüstenväter. Wie es der Hl. Antonius war, ganz bewusst dem Ruf der Wüste gefolgt sind. Sie haben die Annehmlichkeit des gut organisierten irischen Klosterlebens verlassen, um in der Einsamkeit Gott zu suchen. Aus den Aufzeichnungen über den Hl. Antonius haben Columban und Gallus erfahren, dass in der Wüste, in der Einsamkeit von Wind, Sand und Sternen Gottes Spuren zu entdecken sind.

Wenn ich auf mein behagliches, abgesichertes, aber gefülltes Alltagsleben schaue, dann, so muss ich mir ehrlich eingestehen, sind Gottes Spuren zugedeckt – zum Grossteil. Als Mensch, der um Glauben ringt, weiss ich natürlich, dass Gott überall im Hier und Jetzt zu erahnen ist. Und ich weiss, wenn ich darüber nachdenke, um so manche Situation, die mir einen Blick in Gottes Gesicht gewährt hat.-

Was ist es aber, dass es mir hier draussen in der Wüste leichter fällt? Womöglich ist es die Unmittelbarkeit der Natur. Ganz sicher aber ist es die Achtsamkeit, die ich hier einüben darf, und die mir in meinem gewöhnlichen Leben so oft fehlt oder abhandenkommt – oder für die ich mir schlichtweg keine Zeit nehme.

Eine sehr gute Frage, liebe Alessia. Danke! Als Antwort darauf ein paar Zeilen aus meinem vorgestrigen Erleben heraus:

ich habe heute
deine Zärtlichkeit entdeckt
als du
mein Gesicht
umspielt hast
ich liess mich
sehnsüchtig
von dir streicheln
als du
mit deiner hand aus wind
über die spitzen
der zitternden wiesengräser gestriffen bist
alle haben sich
bereitwillig
an deine nähe geschmiegt
wie sie
gebe ich mich
ihr hin
will dich
mehr, öfter, tiefer
entdecken
weil ich
erahne
du liebst die welt
du hast freude an ihr

Der Heilige Antonius, zusammen mit dem greisen Paulus von Theben, in der Einsiedelei beim Gebet, gemalt von Diego Rodriguez de Silva.
Quelle: Joachim Schäfer. Ökumenisches Heiligenlexikon