Eigentlich wollte ich heute Schöngeistiges über meine Entdeckungen rund um die Langsamkeit schreiben. Zur Mittagsmeditation hat es dann langsam begonnen zu regnen. Ich habe mich erinnert, wie sehr ich mich jeweils aufgeregt habe, wenn ich beim Velofahren vom Regen überrascht worden bin – an manchen Tagen wurde ich bis zu drei Mal bis auf die Haut nass… Heute Mittag hätte ich gefühlt ewig im Regen meditieren können. Das Blätterdach über mir hat mich vor der gröbsten Nässe bewahrt. Wäre nicht Eni bei mir gewesen, die mich mit einem feuchten Nasenstubser auf meine Wange aufforderte, uns doch endlich ins Trockene unter die Plachen am Waldplatz zu bewegen, wäre ich auch heute durchnässt worden. Hier draussen rechne ich wohl damit, stelle mich innerlich darauf ein. Und das, obwohl ich mich hier ja nicht so einfach und unkompliziert mit trockenen Kleidern eindecken kann.

Nach dem ersten, unbarmherzigen Regen in der ersten Nacht bis zum Mittag des zweiten Tages wurde mir bewusst, dass ich meine Regenhose vergessen hatte. Dumm… Doch dank Jeton sitze ich jetzt seit geraumer Zeit geschützt durch eine Regenhose – DANKE! – auf einer der Bänke unter der Plachen am Waldplatz. Eigentlich wäre es gemütlich, Regen prasselt auf das Blätterdach und die Plache über mir. Ich trinke Tee. (Ein 6. Klass-Schüler von mir hat mich gestern besucht und mir verschiedene Teemischungen vorbeigebracht, die er selbst getrocknet und zusammengestellt hat. Sehr fein! DANKE!). Eni schmiegt sich wärmend um meine Füsse. Sie hat es auf dem Boden unter der Bank am trockensten! Eigentlich…

Wäre da nicht das furchterregende Gewitter, das sich scheinbar dazu entschieden hat, sich gerade knapp über uns zu entladen. Ein Donner ist gewaltig. Ich entschliesse mich, alle grossen Metallgegenstände auf der weiter von mir entfernten Sitzgruppe zu platzieren. So harren wir nun aus: Eni, Papier, Tee, Fülli und ich unter der einen Plache und Klangschale, Axt, Messer und Wasserkanne unter der anderen. Ich singe „Nada te turbe“ vor mich hin. Es scheint mich – und auch Eni – wenigstens etwas zu beruhigen. „Nichts soll dich ängstigen“ heisst der Text des Liedes aus Taizé übersetzt. „Nichts soll dich ängstigen“ – ich habe aber Angst! Sogar sämtliche Vögel sind schlagartig verstummt. Vorhin haben sie doch noch so fröhlich vor sich hin gepfiffen?! Und die nächste Gewitterwelle rollt an. Ich mache mich unter der Plache ganz klein, kauere mich über meinem Bogen Papier zusammen. Es wird immer dunkler… Ich summe weiter … „Nada te turbe“… Es regnet. Der Regen ist so dicht, dass ich den Wald am anderen Ende des Rütiweihers kaum mehr sehen kann.

Und mir kommt das Gespräch mit drei Besucher*innen am gestrigen Abend am Lagerfeuer in den Sinn. Seit Tagen frage ich mich, wo Spiritualität, also das Verbundensein mit allem, mit dem Göttlichen, in der sogenannten Bedürfnispyramide von Masslow anzusiedeln ist? Seit wahrscheinlich knapp 100 Jahren (ich kann leider nicht nach-googlen J) ist diese Pyramide eine der Grundlagen der heutigen Entwicklungspsychologie – soweit ich mich richtig entsinne.

Auf jeden Fall fehlt mir in dieser Pyramide, die beschreibt, dass zuerst Bedürfnisse wie Nahrung, Sicherheit und Behausung gestillt sein müssen, bevor wir Menschen uns „weniger wichtigen“ Bedürfnissen zuwenden können (Soziales, Kultur, Religion), die Verortung von Spiritualität – oder ich meine, sie sei unter „Religion“ als zu wenig bedeutsam eingestuft. Spiritualität ein Luxus? Eine der Besucher*innen meinte, sie halte es mit Brecht: „Zuerst das Fressen, dann die Moral.“ Das habe ihr das Leben gelernt und die Erfahrungen, die sie mit dem System „Kirche“ gemacht habe. Wir haben lange am Feuer diskutiert. Eine unglaublich bereichernde Begegnung und Auseinandersetzung – ich bin dankbar dafür! – mit einem zentralen Lebensthema. Bis es definitiv war, dass uns das gestrige Abendgewitter erreichen würde, dauerte das Gespräch.

Jetzt kommt die nächste Gewitterwelle – Gott sei Dank tönt sie schon nicht mehr so nah – und ich summe weiter „Nada te turbe“. Mein Grundbedürfnis nach Sicherheit ist im Moment definitiv nicht gestillt. Eigentlich müsste ich mich mega unwohl fühlen… „Nada te turbe“ – was ist es, das bewirkt, dass meine Angst mich nicht völlig in ihren Fängen hält? Ich glaube, es ist eine spirituelle Haltung, die mir im Moment die Kraft verleiht, mit meiner Angst umzugehen: das Vertrauen darauf, dass die Verbundenheit mit dem Leben mich trägt. Vielleicht kann man es als Urvertrauen umschreiben? Das Vertrauen hilft mir, mit dem nicht erfüllten Bedürfnis der Sicherheit (Angst) umzugehen. Ich werde dankbar für dieses Geschenk. Glaube aber, dass Vertrauen auch eingeübt werden kann. Hier in der Natur spüre und beachte ich das fest. Natur ist Fülle – Fülle, die darauf vertraut, dass das Leben weitergeht, das Leben überlebt!

Die Vögel künden mit ihrem Gesang an, dass das gröbste überstanden ist. Mir wird es leichter ums Herz. Jetzt muss ich mich nur noch mit meinem Bedürfnis nach Komfort-Zone auseinandersetzen. Seitdem es regnet, war heute Nachmittag noch niemand zu Besuch. Komisch!? Ich freue mich schon darauf, wenn auch ich nicht mehr bei Regen und Gewitter draussen sein „muss“!

Ein Gewitter am Himmel mit Blitz und dunklen Bäumen