Ich habe die starke Vermutung, dass heute Sonntag ist 😉 So ganz sicher bin ich mir mit der Bestimmung der Wochentage nicht mehr… Doch die junge Familie mit grosser Verbundenheit zum Wald, die die frühen Morgenstunden genutzt hat, um mir einen feinen Zmorge vorbeizubringen, bestätigt meine Vermutung. Die Freundlichkeit, die mir hier immer wieder erwiesen wird, ist unglaublich berührend. Und wie ich den Zmorge geniesse – so einen feinen hatte ich hier im Wald noch nie!
Wir sitzen zusammen, die Kinder klettern auf der Bank herum, die Grössere von ihnen erkundet den Waldplatz, hat Fragen, wir reden, teilen Kaffee miteinander (Die Familie hat natürlich vorher schon Zmorge gehabt, schliesslich sind die Kinder länger wach als ich. Familienalltag halt.) Ich verspüre wieder einmal tiefe Dankbarkeit für die Begegnung, fürs Teilen, für die Worte, Gesten, Geschenke. Mir wird bewusst, dass genau solche Momente die sind, die in der kirchlichen Sprache „Danksagung“ heissen. Momente, in denen wir erahnen können, dass mehr hinter den äusseren Zeichen, Symbolen und Gesten steht, als wir sehen können. Dass uns das Verbundensein mit allem, mit dem Göttlichen, im Hier und Jetzt trifft.
In der aus dem Griechischen kommenden kirchlichen Fachsprache heisst „Danksagung“ „Eucharistie“ und bezeichnet die Feier des Abendmahls als Moment, wo das letzte Mahl, das Jesus mit seinen FreundInnen am Abend vor seiner Hinrichtung gefeiert hat, im Hier und Jetzt Gegenwart wird. Ich spüre ganz fest, dass das Morgenmahl von heute für mich eine ganz ähnliche Qualität hat. Wie oft erlebe ich dies sonst in meinem Alltag? Ausserhalb des Sonntags? Wie oft geschieht das denn sonst noch, ohne dass ich es bemerke?
Hier im Walt heute morgen habe ich es erlebt. Und ich wusste: Jetzt ist Sonntag. Wieder kommt mir ein Satz von Kurt Marti in den Sinn: „Wenn wir Gott nicht mehr feiern, hat er aufgehört, Alltag zu sein.“ Ich spüre, dass mich die Erfahrungen der letzten zwei Wochen und die Achtsamkeit, das Leben im Antlitz der Natur dafür empfänglich machen. In der Gallus-Vita von Josef Osterwalder lese ich, dass der Hl. Gallus bis zum Tod von Columban keine Eucharistie mehr feiern durfte. Es heisst, er sei kurz vor dem Aufbruch von Columban nach Süden an diesen mit der Bitte herangetreten, in der Region um Arbon bleiben zu dürfen. Heftige Fieberanfälle haben Gallus ausserdem erfasst, was er als Grund für sein Zurückbleiben anführt. Inwieweit diese psychosomatisch waren. lässt sich heute nicht mehr beurteilen. In jedem Fall zeigt dieses Ereignis aus seinem Leben, dass er es wusste, sich durchzusetzen, aber gleichzeitig auch die Grösse hatte, die Konsequenzen zu tragen. Für den Priester kommt das Verbot, die Eucharistie zu feiern, quasi einer Suspendierung gleich. Gallus hält sich aber strikt an die Anweisung des Hl. Columban, bis ihm in einem Traum gesagt wird, dass Columban in seinem Kloster in Bobbio verstorben sei. Als Gallus‘ Mitbruder Maginald Gallus einen Brief von Columban und dessen Wanderstab bringt, hat er Gewissheit.
Wie konnte Gallus das aushalten, so lange keine Eucharistie zu feiern, wenn die Feier für sein Glaubensverständnis und sein Priestersein doch so zentral war?
Inzwischen ist die Familie aufgebrochen und zwei weitere Gäste haben sich heute morgen eingestellt. Eigentlich wollten sie in die Kirche gehen, dachten aber: Heute morgen machen wir einen Besuch am Waldplatz. Zopf. Butter, Schoggi und Äpfel haben sie mitgebracht. Wir essen miteinander. Sie teilen mit mir. Wir teilen Worte. Glaubenserfahrungen und -zweifel. Und wieder steigt in mir diese Dankbarkeit auf. Ich sage innerlich dem Leben meinen tiefen Dank. Und den beiden Gästen natürlich auch.
Und später, im Lauf des Morgens und Mittags wird mir nochmals diese Dankbarkeit geschenkt, dieses gegenseitige Verbundensein mit allem – nicht im Teilen von Brot, resp. Zopf, sondern im Teilen von Stille. Ich bin gespannt, wie dicht sich heute dieser Sonntag noch zeigt. Später bringt Enrico Lenzin noch die Stille der Natur zum Klingen. Ich freue mich und wünsche mir, dass viele Menschen das tiefe Verbundensein auf der Welle der Dankbarkeit erleben können – wo auch immer! Sie sind, ob im Wald, in der Natur, in der Kirche, in der Stadt, daheim…
Räume. Möglichkeiten schaffen, anbieten, öffnen für Dank und Verbundenheit – das ist eine wunderbare Lebensaufgabe, der auch der Hl. Gallus kreativ und einfach nachgekommen ist. Sonst sässe ich heute nicht hier im Wald und hätte nicht einen solch besonderen Sonntag!