Wie rasch die Zeit vergeht, wenn sie intensiv ist. Morgen Abend wird das Gallus Experiment beendet werden. Ich werde das Waldlager abbauen und Chika wird mit seiner Familie als letzte Brieftauben den Blog abholen kommen und einen Teil des Materials mitnehmen. Den anderen Teil werde ich schultern und nach dem Abendgebet zu dem Ort laufen, an dem der Heilige Gallus sehr wahrscheinlich sein spirituelles Experiment gelebt hat. Die Klammer schliesst sich. Ich bin sehr froh, dass ich am Pfingstsonntag im Chorraum der Kathedrale – über der Galluskrypta also, die Vesper mitfeiern konnte. Es war mir wichtig, mich vom Gallus-Kraftort inspirieren und stärken zu lassen. Die Kraft konnte ich tief in mir spüren. Auch bei der Aussendungsfeier am Dienstag-Morgen. Ich durfte während der drei Wochen spüren, dass ich nie einsam war, sondern behütet – von Menschen, die an mich dachten, die mir verbunden waren; liebe Menschen haben mir auch Symbole des Schutzes vorbeigebracht, und eingebettet als Teil vom grossen Ganzen allen Seins bot mir auch die Natur ihren Schutz-Raum.

Tiefe, tiefe Dankbarkeit erfasst mich heute. Ich bin traurig, muss dem auch immer wieder Raum geben, und verabschiede mich von diesem heilsamen Ort am Rütibach und seinen Wesen.

Doch auch die Freude auf Maria und Rea erfüllt mich. Drei Wochen musste sie auf mich verzichten. Dafür bin ich ihnen unglaublich dankbar. Auch meinen lieben Kolleg*innen im Haldenteam und im Seelsorgeteam Südost sowie im Cityteam. Danke, dass Ihr mir die Möglichkeit zu diesem Experiment gegeben habt!

Aufbrechen werde ich morgen Abend also in mein „normales“ Leben. Ich weiss, dass es nicht mehr das gleiche sein wird. Aus diesem Grund ist es mir eben auch ein Anliegen, am Wirkungsort des Heiligen Gallus dieses Experiment abzuschliessen. sein Leben ist mir sehr nahe gekommen. Sein Vorbild soll mir auch Kraft geben, das, was mir in seinen Spuren bewusst wurde, mit meinem Lebensalltag zu vernetzen. Ich lebe nun mal nicht wie er in der Zurückgezogenheit, sondern eingebettet in die Beziehung von Familie, Gesellschaft und Verantwortung. Doch ich weiss, so einiges lässt sich auch dort umsetzen. So habe ich mir vorgenommen, auch davon noch ein wenig auf dem Blog vom Gallus Experiment zu berichten. Nicht mehr jeden Tag, sondern am Mittwochabend 3. Juli, Montagabend, 8. Juli und Donnerstagabend 11. Juli.

Ich glaube, dass auch in meinem Leben da draussen ausserhalb des Waldes „Zeit“ das bestimmende Thema bleiben wird. Hoffentlich langeweit Dich das nicht langsam, lieber Paul?! 🙂 So ist heute doch tatsächlich meine Armbanduhr – halt: Marias Armbanduhr (ich werde natürlich die Batterie ersetzen lassen!) – stehen geblieben! Ein Zeichen? Jedenfalls muss ich die letzten beiden Tage wirklich ernst machen mit dem, was ich mir schon anfangs der zweiten Woche vorgenommen hatte: auf meinen Körper und die Zeichen der Natur zu achten, wenn ich mich frage, wie viel Uhr es wohl ist. Eine kleine Orientierungshilfe bieten mir jeweils auch immer die Menschen, die zu den Meditationszeiten kommen. Es macht erfinderisch und inspiriert, keine Uhr zu haben, nicht mehr „Herr“ der Zeit zu sein. Ich weiss aber auch, dass ich das Dasein als Uhrloser ab Montag nicht mehr weiterführen kann. Zu viele Verpflichtungen, die an Zeiten gebunden sind. Aber ich werde sehen, wie ich damit umgehe… und Ihr, wenn Ihr möget, könnt es lesen. 🙂

Ja, ich beginne, mich zu verabschieden. Gehen und stehen bleiben – loslassen und empfangen – werden und vergehen. Das ist der Takt des Lebens. Und beim Verabschieden fällt mir aber etwas auf, das ich bisher noch gar nicht erwähnt habe. Vielleicht weil es mir etwas peinlich ist… aber ich traue es mich dennoch, weil ich damit in guter Gesellschaft bin, wie ich meine. Ich rede mit den Wesen und Orten, die hier am Rütibach mein Daheim waren. Und ich merke, dass ich nicht erst seit heute mit ihnen spreche, sondern eigentlich seit den ersten Tagen hier draussen im Wald. Ich bitte darum und danke dafür an der einen Stelle, meine Hängematte aufzuhängen, oder Rapunzel zu pflücken, oder querwaldein zu laufen, oder handle mit der Dachsfamilie aus, dass ich ihren Lebensraum achte und sie mich dafür nicht behelligen… Und klingelt es bei mir: Hat das nicht auch der Heilige Gallus gemacht? Gut, mir hat noch kein Dachs Holz zum Feuern gebraucht, aber das erwarte ich auch nicht. In Kontakt treten, Beziehung aufnehmen mit den Wesen, die uns begegnen – das ist doch das Natürlichste. Wie sagte noch der gute Watzlawick: Man kann nicht nicht kommunizieren. Ich bin Teil der Natur. Begegne allen Mitgeschöpfen mit Respekt. Um Lebensraum zu teilen, muss ich in Kontakt treten. Die Gallus-Vita berichtet uns davon sehr anschaulich in der Legende vom Bären. Gallus begegnet dem Bären auf Augenhöhe. Er so nah am Puls der Natur lebt, wie er, muss das – nicht, weil er muss, sondern weil er aufgrund seines Verbundenseins gar nicht anders kann. In den Heiligenlegenden hören wir immer wieder davon, dass Kontakt und Austausch mit Tieren möglich sind. Der Heilige Franz von Assisi ist wahrscheinlich das bekannteste Beispiel!

Immer wieder in meinem Alltag rede ich mit den Wesen um mich herum: dem Vogel, der jeden Morgen an der gleichen Stelle am Rütibach tiriliert, wo ich mich bade (ob er mich beschimpft oder was anderes im Sinn hat, weiss ich nicht. Dass ich mit den Tieren rede, heisst ja noch lange nicht, dass ich sie verstehe. Eni versuche ich, seit nunmehr über sieben Jahre zu verstehen…); mit den Stechmücken, die es hier zu Hauf gibt (Mit ihnen war ich wegen ihrer Stechfreudigkeit im Gespräch. Habe ihnen versprochen, sie nicht zu erschlagen. Ich habe mich an mein Versprechen gehalten. Muss sie falsch verstanden haben, wenn ich meine Beine genau anschaue…), mit dem Bach, der mich an der Kühle und Sauberkeit seines Wassers Anteil nehmen lässt.

Und immer wieder kommen Menschen vorbei, die sich für dieses Experiment bedanken, die diese Erfahrung teilen und sich in ihrer Wahrnehmung und Auffassung von Leben, Welt und Spiritualität dadurch bestärkt fühlen. So wie gestern Abend. Über Gott und die Welt austauschend und unsere Erfahrungen mit und in der Natur teilend sich wir durch den Wald gestreift, bis es dunkel wurde. Ich wiederhole mich, aber ich bin einfach nur dankbar! Und es tut unendlich gut, Leben teilen zu können, Verbundensein zu pflegen. Das ist für mich die wirkliche Glaubenskraft – um die, meine ich aus dem Leben des Heiligen Gallus zu lesen, auch er ganz genau wusste.

Es ist neben den anderen Elementen auch und vielleicht gerade die Erde, die unser Verbundensein am stärksten trägt (Und vieles andere von uns Menschen er-trägt!):

heute
irgendwann
habe ich dich
im Herzschlag
von mutter erde
gehört

als
mein ohr
dicht auf dem
waldboden
ruhte
und ich
das leben
im Horizont
der kleinsten wesen
wahrnahm

habe dich
in den ersten Walderdbeeren
am Wegesrand
geschmeckt
und Dankbarkeit
gekostet
dafür
dass
die erde
uns
alles
schenkt
was
wir
zum leben brauchen

habe dich
erkannt
im Kreislauf
von werden
und vergehen
und werden

als mir
der frische keimling
auf dem toten stamm
entgegenrief
es ist
heiliger
boden
auf dem
wir
stehen

da
habe ich
dich
heute
irgendwann
in der
erde
pulsierend
erlebt