Was bin ich froh, dass ich nicht der Hl. Gallus bin! Gut, ein bisschen neidvoll lese ich schon, dass Herzog Cunzo, nachdem Gallus Cunzos Tochter Fridiburga geheilt hat, den Kastellkommandanten von Arbon anwies, Gallus einen Bautrupp mitzuschicken. Dieser sollte ihm in der Wildnis an der Steinach eine Behausung bauen helfen. Inzwischen kann ich voller Stolz auf meine Wohnstatt im Wald schauen – natürlich auch mit deinem grossen Dank an alle, die mich beraten haben und Verbesserungen anbrachten ?

Das Gallus-Experiment ist zum Glück zeitlich beschränkt. Und ich glaube auch, dass Gallus’ Tagesablauf viel weniger Zeit für «Nichtstun» aufwies. Schliesslich musste er gemeinsam mit den Menschen, die mit ihm an der Steinach das Leben in der Wildnis teilen wollten, das Überleben sichern. Wald zu roden und Landwirtschaft zu betreiben gehörten sicher zum Alltagsgeschäft, das die Gemeinschaft prägte, die sich relativ bald um Gallus gebildet haben mag. Auch eine gewisse Öffentlichkeit muss Gallus’ Leben in und trotz der Wildnis eingeholt haben. Menschen haben von seinem Leben berichtet, und Menschen haben ihn besucht und wollten mit ihm sprechen. Ich suche persönlich das definitiv nicht und freue mich auf den 30. Juni, wenn das Gallus-Experiment beendet sein wird. Und doch gehören diese Erfahrungen wahrscheinlich einfach dazu?! Auf jeden Fall bin ich immer wieder sehr überrascht, wie ich im Laufe des Gallus-Experiments Erfahrungen mache, von denen ich mir jetzt sehr gut vorstellen kann, dass diese auch der Hl. Gallus erlebt haben mag. Und das, obwohl das Setting des Experiments nicht gen Gegebenheiten des Lebens von Gallus vor rund 1400 Jahren entspricht. Schliesslich geht es ja dabei um die spirituellen Erfahrungen in Gallus’ naturverbundener, zurückgezogener Lebenswelt, und nicht um ein historisches Nach-Leben

Vor allem wurde dieser wahrscheinlich nicht von einem so guten und hilfreichen Team unterstützt!

Eines wurde mir in diesen Tagen aber sehr stark bewusst, weshalb ich so froh bin, NICHT der Hl. Gallus zu sein (und es definitiv nicht die bequeme Toilette, wie anscheinend ein Journalist etwas kreativlos titelte). Ich vermisse meine Familie. Die Nähe und den Austausch – unkompliziert, einfach so, mitten in unserem Alltag.

Von gestern Abend an bis heute Mittag hat mich unsere Tochter Rea besucht. Gemeinsam mit Maria, meiner Frau, und weiteren BesucherInnen sassen wir nach der gemeinsamen Meditation am Bach noch länger am Lagerfeuer des Waldplatzes und haben Essen und Worte miteinander geteilt. SO einfache, gemeinschaftliche Momente schätze ich seit dieser Zeit am Waldplatz wieder viel mehr – und das Sitzen um das Feuer spielt dabei eine ganz wichtige Rolle, um eine verbindende, wärmende Mitte. Der Kern allen Lebens ist – glaube ich – Leben zu teilen. Aus diesem Grund ist es meiner Meinung nach auch der Kern des Glaubens. Ich bin definitiv kein Einsiedler – das war der Hl. Gallus ja auch nicht. Ich schätze die Zurückgezogenheit und das Allein-Sein, das ich mir selbst suche und wähle. Doch brauche ich genauso stark auch das Miteinander mit anderen.

Und wie unglaublich schön die kurze Zeit mit Rea war! Sie hat sich für mein Leben hier interessiert. Sie wollte wissen, was und wie ich hier in meinem Waldleben alles so mache. Hat sich um das Feuer gekümmert. Sie durfte in der Hängematte schlafen; ich schlief neben ihr am Boden. Wir haben in der Nacht gemeinsam den Regentropfen zugehört, die auf der Plache über uns geprasselt haben. Haben geratscht. Sie hat von ihrer Woche erzählt, ich von meinen Entdeckungen, und am Morgen haben wir uns im kalten Rütibach gewaschen. Danach waren wir auf jeden Fall wach! Diese wenigen Stunden waren wunderschön und unglaublich wertvoll für mich. Ich habe Leben und Zeit mit Rea geteilt. Auf das Zusammensein mit ihr und Maria freue ich mich am allermeisten. Gott sei dank bin ich nicht Gallus!

Bild: Lagerfeuer der Pfadi, Aargauer Zeitung