Heute Nacht hat unser Teamleiter der Cityseelsorge, Roman, bei mir im Wald übernachtet. Es hat mich sehr gefreut, dass er miterleben wollte, was es heisst, dort draussen zu nächtigen und zu leben. Ein bestärkendes Zeichen der Wertschätzung. Und seinem Mami Annemarie, die den Blog des Gallus Experiments jeden Tag mitverfolgt, kann ich meine Hochachtung für ihren Sohn aussprechen (und einen Gruss natürlich): Roman hat sich im Kampf gegen Mücken und Hängematte sehr tapfer geschlagen!
Während Roman das Gastrecht in der Hängematte zukam, habe ich die Gelegenheit ergriffen und auf dem Waldboden geschlafen – mit Blick in den Nachthimmel, soweit dies die Baumkronen der Tannen und Fichten über mir zuliessen. Ich wollte eine der kürzesten Nächte des Jahres nicht verstreichen lassen, ohne dies getan zu haben. Wie fast jeden Morgen so bin ich auch heute unter anderem davon erwacht, dass ein Hummeli den Waldboden nach Geniessbarem absuchte. Ich konnte sie beim Aufwachen beobachten und habe mich an ihrer Behäbigkeit und ihrem Eifer erfreut. Doch auch die Perspektive, die mir der Morgenbeginn auf dem Waldboden bescherte, liess mich vom ersten Moment an eintauchen in diesen geheimnisvollen Kreislauf des Lebens hier im Wald. Wohin waren diese ganzen Insekten, Ameisen, Wanzen, Spinnen, Schaben…, die den Waldboden bevölkern unterwegs? Was würde ihnen ihr Tag bringen? Haben sie alle ihren Sinn? Jedes einzelne Lebewesen, Wesen, ob Stein, Pflanze, Pilz, Insekt oder Tier hier im Wald, in der ganzen belebten Welt hat ihren Sinn. Jedes ist ein Teil des Grossen Ganzen mit seiner Bedeutung, Aufgabe und Sinnhaftigkeit – auch wenn mein kleiner Geist beispielsweise nicht erfassen mag, was Zecken und Steckmüsen für einen Sinn haben!? Aber ich kann inzwischen darauf vertrauen, dass es irgendeinen Sinn macht, dass sie da sind – denn sonst gäbe es sie nicht.
Das ist das Prinzip der Biodiversität. Die Vielfalt der vielen verschiedenen Lebensformen braucht es, weil jedes von ihnen eine Aufgabe im Ganzen hat. Biodiversität ist die Grundlage unserer Lebens auf der Erde – unseres menschlichen Überlebens. Dass eine Million der acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind, ist eine zutiefst erschreckende Zahl und eine grosse Schande für unsere menschliche Art, die das hauptursächlich zu verantworten hat.
Alles gehört zusammen. Jedes ein Teil des Ganzen. Deshalb ist alles miteinander verbunden. Vielleicht ist das ja auch so, weil in allem Göttliches steckt? Für mich ist das jedenfalls so. Und wenn ich von Spiritualität spreche, dann wird mir durch die Zeit hier im Wald und das Beobachten und Erleben sowie durch die Diskussionen am Feuer (Dir, lieber Niklaus, vor allem herzlichen Dank dafür!) bewusst, was ich darunter verstehe: Spiritualität ist das Verbundensein mit dem Göttlichen, mit allen und allem, was ist. Es tönt vielleicht ein wenig paradox. Aber hier draussen in der Zurückgezogenheit habe ich genau das erfahren, weil mir wieder neu bewusst wurde, dass ich ein Teil von allem bin.
Stefan, ein junger, naturverbundener und nachhaltigkeitssensibler Mann, der heute zur Mittagsmeditation kam, hat mir von einem Buch über das Leben der Wölfe erzählt, das er gerade liest und das ihn sehr bewegt. Aus dem Buch hat er erfahren, dass das Zusammenleben der Wölfe im Rudel darum wiess, dass jedes Rudelmitglied seine Bedeutung für das Miteinander hat. Jüngere bringen ihre Kraft ein und ältere Tiere ihre Erfahrung. Sie jagen nie alleine, sondern immer in Gemeinschaft. Und wenn ich den Waldboden genau beobachte und dies über längere Zeit tue, dann erkenne ich, dass das einzelne Lebewesen sich nicht einfach auf`s Geradewohl bewegt, sondern seiner Aufgabe nachgeht. Es weiss darum, Teil des Ganzen zu sein.
In diesem Verbundensein steckt für mich das geheimnisvolle Göttliche – das JHWH, das „Ich-bin-da“. In diesem Verbundensein ist für mich auch Ewigkeit spürbar. Ich bin nicht nur mit dem Hier und Jetzt verbunden, sondern auch mit dem Vor- und Nach-Mir. Das nimmt mich ebenfalls in die Verantwortung.
Dieses ewige Verbunden-Sein erlebe ich hier immer wieder ganz konkret, wenn ich auf den Steinen im Bachbett des Rütibachtobels sitze und dem fleissenden Wasser zusehe:
Heute
begegnete mir
ein tropfen
deiner ewigkeit
unermüdlich
bewegt
sich das wasser
bach abwärts
fliesst
formt
fördert
klarheit
die steine
die es mitbringt
scheinen
zu erzählen
es war einmal vor langer Zeit
und
auch heute
ist es
bist du es
die
fliesst
formt
fördert
frisch
anders
und doch
dieselbe
wie
das wasser
heute
begegnete mir
ein tropfen
deiner ewigkeit
und
ich werde erzählen
es war einmal
und es ist
du bist
heute
ewigkeit