Ich habe heute etwas ausprobiert, das ich schon mega lange nicht mehr gemacht haben – wahrscheinlich zuletzt als ich noch ein Kind war. Als Kind macht man so was. Und meine Kindheit ist inzwischen leider schon einige Jahre her. Doch irgendwie weckt die Atmosphäre hier draussen im Wald und das enge Sein mit der Natur das Kind in mir – oder anders formuliert: tiefere Schichten, die das organisierte und leistungsorientierte Leben meines „normalen“ Alltags überdeckt. Vieles in meinem alltäglichen Leben ausserhalb des Waldes muss einfach funktionieren – wie bei vielen…
Heute habe ich bei meiner Morgenrunde durch den Wald also etwas anders gemacht: Ich habe mir eine Aufgabe gestellt. Bei unserem Spaziergang werde ich versuchen, möglichst nicht auf den Weg zu schauen, sondern nur in den Himmel. Klar kann man sagen, wenn jemand so viel Zeit hat wie ich, dann kann man sich ja mal so eine Kinderei ausdenken. Und tatsächlich habe auch ich mir bei diesem Versuch öfter gedacht, was mir da wieder für ein Blödsinn eingefallen ist. Denn mit „Einfach Funktionieren“ war da Schluss.
Auf den ersten 30 Metern bin ich erst einmal in einen Pferdeapfel getreten, den ein Pferd heute am frühen Morgen auf dem Weg verloren hatte. (Nur nebenbei: Ich bin heute davon aufgewacht, dass Ross und Reiter*in den Waldweg herabgekommen sind. Von meiner Hängematte aus konnte ich das Bild geniessen – wohl fast wie zu Gallus` Zeiten, als es nun wirklich keine Kraftfahrzeuge gab und man mit wirklichen PS unterwegs war, wenn man es sich leisten konnte.)
In jedem Fall war diese Aufgabe eine Challange am Morgen. Ich habe auch ein wenig gemogelt – muss ich gestehen… Und doch habe ich festgestellt, dass sich der Blick in den Himmel lohnt! Heute Morgen: der blaue Himmel war noch von den Wolken durchzogen; zwischen den Baumkronen lugte die Sonne und das Himmelsblau durch; die Sonne schimmerte durch das Blattgrün und liess so ein Meer an verschiedenem Grün entstehen. Und sonst im Leben: der Blick in den Himmel lässt Träume und Visionen gebären; schafft Ahnung für das Mehr des Lebens, das über-mich-hinaus; lässt mich an die Zukunft und das Vergangene denken; gibt mir eine Spur für den Sinn. Und ich habe mich gefragt, warum schaue ich nicht öfters einfach in den Himmel? Meistens nur dann, um zu sehen, wie das Wetter ist und wird. Und dafür schaue ich inzwischen meistens auf mein Smartphone, um meine Wetterapp zu befragen. Schon verrückt – da ist ja Spazierengehen unter der Prämisse, nur in den Himmel zu schauen, nichts dagegen. Warum schaue ich nicht öfter in den Himmel? Vielleicht, weil ich dann stehen bleiben müsste?! Weil ich dann langsamer vorankommen würde?!
Fast jeden Tag lege ich mich eine Zeit lang auf den Waldboden und schaue nach oben. Schaue in die Baumkronen. Staune über die Grösse und Mächtigkeit der Bäume. Werde ehrfürchtig. Werde still und tief dankbar. Geniesse das Spiel der Farben und Schatten. Bete.
Es ist schon grossartig: in den Himmel zu wachsen verlangt den Bäumen und Pflanzen einen gewaltigen Kraftaufwand ab. In der Evolution haben sich verschiedenen Systeme herausgebildet, um das Wachstum in die Höhe zu stabilisieren. Alle Lebewesen, die in die Höhe wachsen wollen brauchen Kraft, Energie und System, um das aufrechterhalten zu können. Die Entwicklung von uns Menschen kann ein Lied davon singen und der Blick auf unsere Evolutions-Cousinen und -Cousins zeigt uns, dass das gar nicht ohne ist. Vieles Leben strebt in den Himmel, strebt ans Licht.
Hier draussen ist das für mich auch zu einem Symbol für Glauben und für mein spirituelles Leben geworden. Ich glaube aus meinen Erfahrungen heraus ahnen zu können, das der Blick in den Himmel zur Natur gehört, dass es natürlich ist, den Blick über sich hinaus zu richten, sich an einem Ziel, einem Sinn zu orientieren. Aber dazu muss man manchmal stehen bleiben. Oder aber man liegt am Boden, ganz unten, dann ist der Blick in den Himmel Hoffnung und Kraft wieder aufzustehen.
Ich bin mir nicht so sicher, wie gut es ist, dass ich in meinem Alltag so flott unterwegs bin?! Dass ich so mobil bin?! Die hohe Mobilität unserer modernen Welt ist eines der ökologischen Hauptprobleme. Wisst Ihr eigentlich, wie viele Flugzeuge jeden Tag über St.Gallen hinwegfliegen? Alessia, unsere Videografin kann es Euch vielleicht sagen ?. Sie hat ein Ohr für den Himmel. Immer, wenn sie eines hörte, mussten wir das Videointerview unterbrechen.
Ökologisch ist unsere Mobilität definitiv ein Problem: und spirituell, meine ich, auch – erahne ich, lese ich aus der Natur ab. Vielleicht können Bäume nur so hoch werden und solche grossen Kraftquellen an Sauerstoff und Energie sein, weil sie sich verortet haben, in sich ruhen, eben nicht mobil sind?! Ich weiss: gewagt, aber bedenkenswert! Und da kommt mir halt einmal mehr der inzwischen von mir hochgeschätzte, kurlige Heilige Gallus in den Sinn: Sein Platz, seine Wildnis, seine Wüste, seine spirituelle Bestimmung hat er gefunden, weil er hängen geblieben ist im Dornengestrüpp, weil er auf die Nase gefallen ist, am Boden war. Aufgrund seiner spirituellen Erfahrung konnte er dieses Erlebnis für sich deuten und in sein Lebenskonzept, seine Sinnwelt, seinen Glauben integrieren.
Und was macht er nach seinem Sturz?! Er nimmt Haselruten und formt aus ihnen ein Kreuz. Dieses Kreuz pflanzt er in die Erde. Eine supercoole Aktion von diesem Gallus: Spiritualität, Verbundensein mit allem und allen, braucht einen festen Stand und die Ausrichtung zum Himmel. Glauben, Spiritualität verbindet Himmel und Erde und alles, was ist, miteinander. Um diese wunderbare Kraft der Verbindung, die das Kreuz schon mit seiner Form in sich trägt, weiss der Heilige Gallus. Ich glaube, dieses kraftvolle Zeichen konnte Gallus setzen, weil er ganz da war, ganz im Hier und Jetzt, als Teil der Natur und, sie beobachtend, als spirituelle Lehrerin hatte. Immer mehr wird mir auch Gallus ein Lehrer – einfach ein guter Übersetzer von Spiritualität und ein inspirierender, sympathischer Typ! Mir gefallen „schräge Vögel“! Gott scheinbar auch?!